Ein schöner Artikel von Urs Zimmermann in der Botschaft zur Neophyten-Bekämpfung im Chly Rhy:
RIETHEIM (uz) - Stefan Haus schwärmt; die Aue «Chly Rhy» hat es ihm eben angetan:
Er erzählt von den stetigen Veränderungen, denen eine Auenlandschaft unterworfen ist, und er erwähnt den Biber, der an diesen Veränderungen grossen Anteil hat. Er zählt Teichmolch, Fadenmolch und Kammmolch auf, die alle dort zu Hause sind, er berichtet von den äusserst seltenen Flussregenpfeiffern, von denen er kürzlich gleich zwei Brutpaare ausgemacht hat, und er spricht von der blauflügeligen Sandschrecke, einem «Chly Rhy»-Bewohner, dessen Schwesterart, die blauflügelige Ödlandschrecke, von Pro Natura zum Tier des Jahres erkoren wurde, und von der er gleich mehr erzählen würde, wenn ihm nicht just ein einjähriges Berufkraut dazwischenkäme, dem er erst zu Leibe rücken muss. Haus bückt sich, fasst das Kraut und reisst es samt seinen Wurzeln aus. «Deswegen sind wir hier», sagt er. «Invasive Neophyten! Invasive Neophyten sind eine Gefahr für Flora und Fauna in der Aue. Durch ihr hohe Reproduktionsrate, ihre Anpassungsfähigkeit und weil sie keine natürlichen Fressfeinde haben, breiten sie sich über grosse Flächen aus und verdrängen die einheimischen Pflanzen.»
Der Vorarbeiter und sein Team
Mit «wir» meint Haus die Firma «creaNatira», eine Tochtergesellschaft der Pro Natura Aargau und seine Arbeitgeberin. CreaNatira widmet sich dem Erhalt und der Wiederherstellung unterschiedlicher Naturlandschaften. Haus ist für sie im Bereich «Neophyten» tätig. Als Vorarbeiter leitet er kleinere Teams, die sich in der Regel aus Praktikanten, Zivildienstleistenden und Absolventen eines Beschäftigungsprogramms des Kantons zusammensetzen. Heute ist er im Auftrag des Kantons mit Praktikantin Anne-Sophie, mit dem Zivildienstleistenden Pujan und den Asylbewerbern Mohammed und Mohammed Basir vor Ort, und heute hat Stefan Haus auch ein Heimspiel: Als örtlicher Schutzgebietsaufseher kennt er die Aue nämlich wie seine Westentasche. «80/20», sagt er und meint damit seine Aufgaben. Zu 80 Prozent arbeite er als Vorarbeiter bei creaNatira, zu 20 Prozent als Schutzgebietsaufseher. Mit «Gartensack» und Hacke Der Arbeitstag von Haus' Team beginnt mit einer kurzen Instruktion: «Auf Berufkraut und Goldrute achten», weist er seine Leute an, «und beides mit den Wurzeln entfernen.» Anne-Sophie, Pujan und die beiden Mohammeds werden mit kleinen Hacken und je einem «Gartensack» ausgerüstet, Haus steckt die Arbeitsfelder ab und legt auch selber Hand mit an. Nach einiger Zeit kontrolliert er die gesäuberten Flächen, ruft zur Znüni- und Mittagspause, und am Ende des Arbeitstages chauffiert er seine Leute zurück nach Brugg, zum Treffpunkt beim Campus, wo man sich schon am Morgen für den Arbeitseinsatz besammelte. Für «seine Leute» ist Vorarbeiter Haus übrigens des Lobes voll: «Alle sind sie mit grossem Engagement dabei», sagt er, «und alle arbeiten sorgfältig.» Erst nur ein Nebenjob Stefan Haus liebt seine Tätigkeit bei creaNatira. Er meint: Nur drinnen arbeiten und nur im Büro, das sei nichts für ihn, und er wisse, wovon er rede. «Ursprünglich habe ich eine KV-Lehre absolviert», erklärt er, «und nach einigen Zwischenstationen arbeitete ich bei Getränke Mauchle in Bad Zurzach. Bei Mauchle schätzte ich die Vielfalt. Ich war nicht nur in der Administration tätig, sondern auch in der Auslieferung und im Marketing. Coronabedingt kam es zu Kurzarbeit. Ich suchte mir einen Nebenjob, fand diesen bei creaNatira und arbeite heute zur Hauptsache für den Naturschutz.»
Dem Kraut geht es an den Kragen
Mit Naturschutz machen Haus und seine Leute dann auch ernst: Das Team sieht sich aktuell vor allem mit Betufkraut konfrontiert und geht diesem gleich zuhauf an den Kragen. Sackweise wird es abtransportiert - noch rechtzeitig, nämlich bevor es blüht und sich weiterverbreiten kann.
Tarnung und spektakulärer Auftritt
Doch nun noch zurück zur blauflügeligen Ödlandschrecke, dem Pro-Natura-Tier des Jahres 2023. Davon wollte Stefan Haus ja erzählen, wenn ihm kein Berufkraut dazwischengekommen wäre. Er nimmt den Faden wieder auf und sagt: «Die blauflügelige Ödlandschrecke ist eine Heuschrecke. Sie mag karge Flächen, wie zum Beispiel den Trockenstandort der Aue. Die Schrecke ist perfekt an die Farben ihrer Umgebung angepasst und selbst auf kurze Distanz kaum zu entdecken. Tritt man ihr aber zu nahe, dann wirft sie sich in die Luft, entfaltet ihre blau-schwarzen Flügel und schwirrt davon.» Die Ödlandschrecke beherrsche eben beides, die Kunst der Tarnung und den spektakulären Auftritt. «Wir erwarten die Ödlandschrecke eigentlich unmittelbar, denn sie ist jeweils ein Nachzügler der Sandschrecke», sagt Stefan Haus und freut sich über alle, die einen wachen Sinn für die Wunder in der Aue «Chly Rhy» haben.